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Vorwort - AK Justiz


Worum geht es in unserem AK?

(1.) Als unsere Bundesrepublik gegründet wurde, standen alle noch unter dem Eindruck der soeben erst beendeten Nazi-Diktatur, einer Diktatur, die an Willkür und Grausamkeit kaum noch zu überbieten war. Die Väter unseres Grundgesetzes (GG) haben sich deshalb bei der Schaffung des neuen Staates vor allem darum bemüht, mit der Bundesrepublik ein Gemeinwesen zu schaffen, mit der das Entstehen einer neuen Diktatur verhindert werden konnte. Der Macht des Staates sollten Grenzen auferlegt und der Bürger sollte vor einem übermächtigen Staat geschützt werden. Diese Zielvorstellung durchzieht sich durch das gesamte GG wie ein roter Faden.

Die Väter des GG haben versucht, dieses Ziel auf verschiedenen Wegen zu erreichen.

(1a.) Die wichtigsten Normen, die das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern regeln, haben sie sogleich an den Anfang der Verfassung gestellt. Die Artikel (Art.) 1 - 19 enthalten unsere Grundrechte. Die Grundrechte sind Grundrechte des Bürgers. Sie sind zunächst einmal und vor allem sog. Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Wenn es also in Art. 1 GG heißt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, dann heißt das, dass der Staat die Würde des einzelnen Bürgers nicht verletzen darf; und wenn wir in Art. 5 ein Recht auf freie Meinungsäußerung haben, heißt das, dass der Staat uns nicht den Mund verbieten darf. Wenn Art. 8 eine Versammlungsfreiheit garantiert, dann darf der Staat uns nicht daran hindern, uns zu versammeln; wenn Art. 13 die Unverletzlichkeit der Wohnung anerkennt, heißt das, dass der Staat nicht einfach in unsere Wohnung eindringen und sie durchsuchen darf und wenn nach Art. 14 das Eigentum garantiert ist, dann heißt das, dass der Staat uns nicht einfach enteignen kann.

(1b.) Neben den inhaltlichen materiellrechtlichen Schranken haben die Väter des GG auch verfahrensrechtliche Schranken in die Verfassung eingebaut, um uns vor einer Übermacht des Staates zu schützen. So ist unser Staat ganz bewusst ein föderaler Bundesstaat, bei der sich die Staatsmacht in die Staatsmacht des Bundes und in die der Länder aufteilt. Innerhalb der einzelnen staatlichen Körperschaften ist die Staatsmacht noch einmal wieder aufgesplittet in eine gesetzgebende, in eine vollziehende und in eine rechtsprechende Gewalt. Auf diese Weise sollte eine Konzentration der Staatsmacht in nur einer Hand eines Diktators verhindert werden.

(2.) Was aber ist zu tun, wenn der Staat sich nicht an diese Beschränkungen aus dem GG hält, wenn er seine Kompetenzen überschreitet, wenn er die Grundrechte verletzt, wenn er in die Wohnung seiner Bürger eindringt, wenn er enteignet, wenn er einen wegen einer Meinungsäußerung benachteiligt? Nun - die Väter des GG haben auch an diese Möglichkeit gedacht und Vorsorge getroffen. Ganz am Ende unserer Grundrechte, im letzten Grundrechtsartikel 19 heißt es nämlich in Abs. 4

"Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen"

Mit dem "Rechtsweg" verweist das GG auf die Gerichte und die Richter. Die Gerichte haben also die Aufgabe, den Bürger vor rechtswidrigen Eingriffen des Staates zu schützen. Man muss somit die wichtigste - wenn auch nicht die einzige - Funktion der Justiz wie folgt beschreiben:

SCHUTZ DES BÜRGERS VOR DEM STAAT!

(3.) Damit die Gerichte diese Schutzaufgaben erfüllen können, müssen sie vom Staat unabhängig sein. Es leuchtet ohne weiteres ein und bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass ein Richter, der seinerseits vom Staat abhängig ist, den Bürger nicht vor eben diesem Staat schützen kann. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn es in Art. 97 Abs. 1 GG heißt:

Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.

Unabhängig heißt, unabhängig vom Staat oder genauer, unabhängig von den anderen beiden Staatsgewalten, der gesetzgebenden und der vollziehenden Staatsgewalt. Unabhängigkeit heißt nicht - und darauf weise ich aus gegebenem Anlass hin - völlige Unabhängigkeit im Sinne von Gutdünken oder gar Willkür. Das GG selber verweist in Art. 97 auf die Bindung des Richters an das Gesetz. Das Gesetz steht also über allem, Richter sind daran selbstverständlich gebunden. Was in diesem Staat zu geschehen hat, bestimmen also die Parlamentarier mit ihren Gesetzen. Die Macht des Richters beschränkt sich darauf, zu überwachen, ob die Gesetze auch eingehalten werden. Das betrifft insbesondere die Staatsgewalt Exekutive, also die Regierung, die zahlreichen Verwaltungen und die Polizei. Sie alle sind an das Gesetz gebunden. Deshalb heißt es in Art. 20 Abs. 3 GG:

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Die Richter können also nur überprüfen, ob die vollziehende Gewalt diese Gesetze auch tatsächlich einhält und die Bürger nicht rechtswidrig beeinträchtigt. Die Verfassungsgerichte können darüber hinaus auch prüfen, ob die Gesetzgebung die verfassungsmäßige Ordnung einhält.

(4.) Dies ist die Justiz, wie sie eigentlich sein sollte. Doch wie sieht die Praxis aus? Schützen deutsche Gerichte den Bürger immer vor rechtswidrigen staatlichen Eingriffen?

Es gibt gelungene Beispiele dafür, dass die Justiz ihrer Aufgabe gerecht wird. Ich erinnere z. B. an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zur Vorratsdatenspeicherung vom 02. 03. 2010 (1 BvR 256/08 u. a., BGBl I 2010, 272). Hintergrund dieser Entscheidung war eine Regelung im Telekommunikationsgesetz. Darin hatte sich der Staat selbst das Recht geschaffen, sämtliche Telekommunikationsdaten seiner Bürger (also e-mails, Telefonate u. a.) vorsorglich und ohne jedweden Anlass zu speichern , um darauf ggfls. irgendwann einmal zugreifen zu können. Das BVerfG unter der Leitung von Herrn Prof. Papier entschied allerdings, dass dieser Eingriff des Staates in die Rechte seiner Bürger als Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 (Brief-Post- u. Fernmeldegeheimnis) rechtswidrig sei und hob das Gesetz auf. Bis dahin gespeicherte Daten mussten gelöscht werden. Der Schutz des Bürgers war damit wieder hergestellt.

Leider gibt es andere Beispiele, bei denen man den Eindruck hat, dass die Justiz bei der Erfüllung ihrer Schutzaufgabe versagt hat. Bei der Entscheidung des BVerfG über die Entschädigung von Enteignungsopfern in der ehemaligen DDR (Beschluss vom 18. 04. 1996 1 BvR 1452/90 u. a., BVerfGE 94, 12) drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass das Gericht - aus Gründen, über die man nur spekulieren kann - vielmehr bemüht war , die Exekutive vor dem Bürger zu schützen.

Damit stellt sich die Frage, sind deutsche Richter tatsächlich so unabhängig vom Staat, vor allem von der Exekutive, dass sie den Bürger vor dem Staat schützen können?

Ich meine nein! Es gibt zahlreiche Versuche der Exekutive, Einfluss zu nehmen, auf die Entscheidungen in der Justiz.

Dieser Einfluss beginnt schon gleich, wenn ein Richter in sein Amt berufen wird. Die meisten Richter werden heute nämlich durch die Justizminister ernannt, also von eben der Staatsgewalt, vor dem sie den Bürger schützen sollen. Man muss also feststellen: Der Kontrollierte sucht sich seine Kontrolleure selber aus.

Eine weitere und noch viel schlimmere Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit besteht darin, dass Richter durch die jeweiligen Landesregierungen befördert oder nicht befördert werden. Und da die Regierung nur solche Richter befördert, die ihre - der Regierung - Erwartungshaltung erfüllen, bestimmt die Regierung auf diese Weise, wie die Richter zu arbeiten haben. Der Anspruch des Bürgers auf Schutz vor staatlichen Eingriffen bleibt dabei nicht selten auf der Strecke.

(5.) Zum Schluss noch die Frage, was geht das uns von MD an, warum beschäftigen gerade wir uns mit diesem Thema?

Nach § 4 unserer Satzung setzen wir uns für die demokratische Grundordnung und für eine gedankliche Weiterentwicklung der Staats- und Gesellschaftsform ein. Aufrechterhaltung der Gewaltenteilung und Schutz des Bürgers vor staatlichen Übergriffen ist Teil einer jeden demokratischen Grundordnung, auch unseres GG. Außerdem stehen wir im Spannungsfeld zwischen Staat auf der einen und Bürger auf der anderen Seite auf der Seite der Bürger. Es kann uns daher nicht egal sein, wie und ob die Justiz in diesem Spannungsfeld funktioniert. Deshalb haben wir diesen Arbeitskreis gegründet, um Lösungen zu erarbeiten, damit die Justiz ihrer ursprünglichen Aufgabe, den Bürger vor Eingriffen des Staates zu schützen, wieder gerecht wird.


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